Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen des Verdachts der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit durch eine Detektei observieren lässt und die Detektei dabei den sichtbaren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers dokumentiert, ist das die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung – BAG, Urt. v. 25.07.2024, Az.: 8 AZR 225/23
Kurzgefasst / Kern des Sachverhalts: Nach Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Folgebescheinigung durch den Arbeitnehmer, hegt die Arbeitgeberin Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Im Bericht der beauftragten Detektei heißt es an einem der Observationstage, „zieht er beim Gehen das linke Bein nach.“ Darin sieht das BAG die unzulässige Verarbeitung von Gesundheitsdaten. Dem Arbeitnehmer steht dann, wegen des Kontrollverlustes über die personenbezogenen Daten, ein immaterieller Schadensersatzanspruch in Geld nach Art. 82 Abs. 1 EU-DSGVO zu, wenn die Observation zur Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsrecht nicht erforderlich und damit rechtswidrig war.
Sachverhalt:
Der Kläger war seit dem 1. September 2009 zunächst bei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten und dann bei dieser in verschiedenen Positionen im Vertrieb beschäftigt. Er war im Außendienst tätig und arbeitete im Übrigen von zu Hause aus (Homeoffice). Die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen eine ordentliche Kündigung durch eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (2017) war vor dem Arbeitsgericht rechtskräftig erfolgreich. Die Beklagte bot dem Kläger 2020 die Position eines Account Managers an. Zu dem vereinbarten Gespräch im März kam es nicht, der Kläger sagte das Gespräch unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab. Im Oktober 2020 kündigte die Beklagte dem Kläger betriebsbedingt zum 28.02.2021. Auch die vom Kläger dagegen erhobene Kündigungsschutzklage war rechtskräftig erfolgreich. Im Julie 2021 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung aus und bot dem Kläger die Position eines Account Managers an einem anderen Arbeitsort und finanzielle Unterstützung für den erforderlichen Umzug an. Die Änderungsschutzklage des Klägers hatte keinen Erfolg. Der Aufforderung zur Arbeitsaufnahme als Account Manager zum 01.12.2021 kam der Kläger nicht nach, entschuldigte sich per E-Mail am 30.11.2021 aus gesundheitlichen Gründen und stornierte das kurz zuvor gebuchte Hotelzimmer.
Im Januar 2022 nahm der Kläger die Arbeit auf, es kam aber dann zu Differenzen zwischen den Parteien darüber, ob der dem Kläger übertragenen Aufgabenbereich vertragsgemäß war. Die Auseinandersetzung verlief ergebnislos. Mit Schriftsatz vom 04.02.2022 klagte der Kläger gegen die Beklagte vor dem Arbeitsgericht auf vertragsgemäße Beschäftigung. Die ihm übertragenen Aufgeben seien minderwertig und nicht vertragsgemäß.
Mit E-Mail vom selben Tag, dem 04.02.2022 meldete sich der privat versicherte Kläger arbeitsunfähig, wegen einer „außerhalb der Arbeitszeit“ erlittenen Verletzung. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag, per E-Mail übersandt, galt bis zum 18.02.2022, die Folgebescheinigung attestierte Arbeitsunfähigkeit bis zum 04.03.2022.
Die Beklagte hegte den Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Sie ließ den Kläger in der Zeit vom 25.02.2022 bis zum 04.03.2022 durch eine Detektei zumindest stichprobenartig überwachen. Dabei wurde auch die Hausarztpraxis des Klägers und das Wohnhaus seiner Lebensgefährten aufgesucht. Im Bericht der Detektei, der letzteres nicht wiedergibt, sind Tätigkeiten des Klägers, wie das Verladen sperriger und größerer Gegenstände in den Kofferraum seines PKW, wie das Zurückgehen über eine hohe Treppe ins Haus, vermerkt. Bei dem Besuch eines Badstudios „zieht er beim Gehen das linke Bein nach“, weiter ist der Besuch eines Supermarkts und das Verlassen des Marktes mit einem Karton mit Lebensmitteln vermerkt. An einem anderen Tag wird er beim Ausbau einer „sicherlich schweren“ Autobatterie und deren verbringen zum Haus beobachtet, des Weiteren beim Sägen und Schleifen.
Die Beklagte hörte den Kläger zum Vorwurf der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit in der der Zeit vom 04.02.2022 bis zum 04.03.2022 an. Der Kläger gab an, die beobachteten Tätigkeiten hätten seinen Genesungsprozess nicht behindert. Der Kläger verlangte in dem laufenden Prozess Zahlung eines angemessenen „Schmerzensgeldes“ iHv. mindestens 25.000,00 Euro.
Verfahrensgang:
Das Arbeitsgericht hat die Klage bezogen auf den Schmerzensgeldantrag abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht, gestützt auf Art. 82 Abs. DSGVO, die Beklagte zur Zahlung einer „Entschädigung“ iHv. 1.500,00 Euro an den Kläger verurteilt. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Entscheidung bestätigt.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes:
Das BAG hat die Dokumentation des sichtbaren Gesundheitszustandes des Klägers, insbesondere seines Gangs, zum Teil als verbotene Verarbeitung von Gesundheitsdaten nach der DSGVO qualifiziert. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass das grundsätzlich nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO bestehende Verbot der Verarbeitung von Gesundheitsdaten hier nicht entfallen ist. Das wäre gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO u.a. ausnahmsweise der Fall, wenn die Verarbeitung erforderlich gewesen wäre, damit der Verantwortliche (hier: Arbeitgeberin), die ihm „aus dem Arbeitsrecht … erwachsenen Rechte“ ausüben kann, soweit das nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, zulässig ist. Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG wäre das der Fall, wenn die Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten u.a. aus dem Arbeitsrecht erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person (hier: Kläger) an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt.
Dazu hätte die beklagte Arbeitgeberin, wenn sie den Arbeitnehmer wegen Zweifeln am Vorliegen der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hat und den Arbeitnehmer durch Detektive observieren lassen will, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern müssen. Dazu hätte die Beklagte tatsächliche Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen müssen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben, mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Daran fehlt es in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall. Selbst unter Berücksichtigung der konfliktbeladenen Vorgeschichte und Gesamtsituation zwischen den Parteien war das hier, nach Auffassung des BAG, nicht der Fall und daher nicht erforderlich. Auch hat das BAG auf seine, mit seiner bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze verwiesen, nach denen, falls der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, das mildere Mittel der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nach § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V zur Verfügung steht.
Im Ergebnis hat das BAG auch die Höhe des vom Berufungsgericht zugesprochenen Schadensersatzes von 1.500,00 Euro für die rechtswidrige Observation und den immateriellen Schaden iSv. Art. 82 Abs. 1 DSGVO bestätigt.
Nachweis: BAG, Urt. v. 25.07.2024, Az.: 8 AZR 225/23 – Link zur Entscheidung:
Kommentar: Nicht einzugehen brauchte das BAG in seiner Entscheidung auf die Privatversicherteneigenschaft des Klägers, aus der Sicht des BAG folgerichtig und konsequent, da die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht gegeben war. Es kam daher auf die Beantwortung der Frage, welches mildere Mittel der Arbeitgeber bei privat versicherten Arbeitnehmern anwenden soll müssen, wenn aufgrund der Erschütterung des Beweiswertes der AUB ein aufklärungsbedürftiger Verdacht besteht, der eine Observation rechtfertigen könnte, nicht an. Eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen scheidet ja aus.