BFH, Urt. v. 17.11.2020 – Az.: VIII R 20/18 – BFH- Pressemitteilung v. 11.03.2021
Mit am 11.03.2021 veröffentlichtem Urteil hat der Bundesfinanzhof (BFH), aufgrund einer für den betroffenen Veranlagungszeitraum bestehenden Regelungslücke definiert, ab und zu welchem Zeitpunkt aufgrund der Insolvenz einer Aktiengesellschaft (AG) entstehende Verluste steuerbar sind und deshalb – einem Veräußerungsverlust entsprechend – zu berücksichtigen sind. Das ist laut BFH der Fall, wenn die inländische AG infolge einer Insolvenz aufgelöst, abgewickelt und im Handelsregister gelöscht wird und der Aktionär seine Einlage nicht oder nur teilweise zurückerhält. Das gilt auch dann, wenn diese Aktien bereits zeitlich vor der Löschung der AG im Register von der depoführenden Bank aus dem Depot ausgebucht wird.
Sachverhalt:
Der Kläger und Revisionskläger hatte im Jahr 2009 Aktien an einer börsennotierten inländischen AG erworben, die in einem Depot verwahrt wurden. Der Kläger war an der AG zu weniger als 1% beteiligt. Die Aktien waren Bestandteil seines steuerlichen Privatvermögens. Über das Vermögen der AG wurde im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Aktien wurden zum 31.12.2013 im Depot des Klägers noch mit einem Stückpreis ausgewiesen. Er wollte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2013 einen Totalverlust aus dem Investment mit Aktienveräußerungsgewinnen verrechnen, die er im Streitjahr 2013 erzielt hatte.
Verfahrensgang: Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnten die begehrte Verrechnung ab.
Der BFH stimmte dem im Ergebnis zu und wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück. Er entschied, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG und § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung enthielten eine planwidrige Lücke, da das Gesetz weder für den Fall des rechtlichen Untergangs inländischer Aktien aufgrund einer insolvenzbedingten Löschung noch für deren Ausbuchung aus dem Depot durch die depotführende Bank einen Realisationstatbestand vorsehe. Auf diese Vorgänge sei der Veräußerungstatbestand gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG entsprechend anzuwenden. Ein steuerbarer Verlust entstehe für den Aktionär aber erst, wenn er aufgrund des rechtlichen Untergangs seines Mitgliedschaftsrechts oder der Ausbuchung der Aktien aus dem Depot einen endgültigen Rechtsverlust erleide. Im Streitjahr 2013 habe der Kläger zwar einen Wertverlust hinnehmen müssen. Dieser habe aber weder den Bestand seines Mitgliedschaftsrechts berührt noch seien die Aktien aus dem Depot des Klägers ausgebucht worden.
Das deshalb, weil von einem „Veräußerungsverlust“ und daher einer Verlustentstehung nicht bereits zu einem Zeitpunkt ausgegangen werden könne, zu dem mit einer Auskehrung von Vermögen im Rahmen der Schlussverteilung des Vermögens der AG objektiv nicht mehr rechnen ist oder die Notierung der Aktien an der Börse eingestellt oder deren Börsenzulassung widerrufen wird. Das deshalb, weil dieser Verlust entsteht, wenn endgültig feststeht, dass (über die bereits gezahlten Beträge hinaus) keine (weiteren) Rückzahlungen (mehr) erfolgen werden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reiche hierfür in der Regel noch nicht aus. Etwas anderes gelte, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder aus anderen Gründen feststeht, dass keine Rückzahlung mehr zu erwarten ist
Die vom Kläger behauptete außerbörsliche und börsliche Handelssperre konnte der Kläger im Verfahren nicht ausreichend darlegen.
Hinweis:
Die Entscheidung hat Bedeutung für Aktien, die nach dem 31.12.2008 erworben worden sind und bei denen der Untergang des Mitgliedschaftsrechts oder die Depotausbuchung in den Veranlagungszeiträumen von 2009 bis einschließlich 2019 stattfindet. Für Veranlagungszeiträumen ab 2020 hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG geregelt, dass Verluste aufgrund einer Ausbuchung wertloser Aktien und eines sonstigen Ausfalls von Aktien steuerbar sind und einer eigenständigen Verlustverrechnungsbeschränkung unterliegen.
Allerdings wird erst die Zeit zeigen, ob die Begrenzung der Verlustverrechnung bis 20.000,00 Euro Anrechnung gemäß § 20 Abs. 6 S. 6 EStG mit positiven Kapitaleinkünften dauerhaft rechtlich Bestand haben wird.
Link zur BFH-Entscheidung
https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202110038/